Den Acht-Stunden-Tag gibt es in den meisten Ländern seit 100 Jahren und gehört zu den ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung. Dabei war es ein Unternehmer, der den Tag erstmals forderte. Mit dem Slogan „Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung“ begründete Robert Owen aus Wales in den 1810er Jahren das neue Arbeitszeitmodell.
Corona beschleunigt den Wandel
Die Corona-Krise stellt die größte Wirtschaftskrise seit 1945 dar und wird den Strukturwandel in den meisten Branchen erheblich beschleunigen. Wenn es nach den Beschäftigten ginge, wären kürzere Arbeitszeiten längst die Norm. Aktuelle Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Arbeitszeitwünsche von Männern und Frauen immer mehr annähern. Während viele vollzeitbeschäftigte Männer und Frauen ihre Arbeitszeit gerne reduzieren würden, würden teilzeitbeschäftigte Männer und Frauen sie lieber aufstocken. Immer mehr Paare wünschen sich, ihre Arbeitszeit gleichmäßiger aufzuteilen. Zu den Gründen gehört auch, dass eine steigende Zahl von Beschäftigten heute verdichteter deshalb gestresster tätig ist als frühere Arbeitsnehmergenerationen. Die Zunahme von Krankheiten wie Burn-out und Depressionen belegen den Trend einer gestressten Arbeitsgesellschaft.
Vor Corona ist Schweden vorgeprescht und hat Beschäftigten in Pflegeheimen die Möglichkeit eingeräumt, statt acht nur noch sechs Stunden am Tag zu arbeiten und das bei vollem Gehalt. Das Ergebnis: Die Lebensqualität der Mitarbeiter hat sich wesentlich verbessert, Stress und Krankheitstage wurden weniger und die Mehrkosten wurden durch mehr Umsatz aufgefangen. In sechs Stunden die gleiche Leistung bringen wie vorher in acht, ist Arbeitsmedizinern zufolge möglich, wenn die Bedingungen stimmen und die Beschäftigten mitgehen. Sind die Arbeitszeiten länger, steigen Fehltage wegen Krankheit und das Unfallrisiko.
Mehr Zeit für Weiterbildung und Erholung
Noch sind Modelle wie die 4-Tage-Woche oder der Sechs-Stunden-Tag und reduzierte Arbeitszeiten bei vollem oder gekürztem Gehalt die Ausnahme. Dennoch wird der gesellschaftliche Trend „Zeit statt Geld“ stärker. Statt Freizeit könnte die Zeit für mehr Weiterbildung in den Betrieben oder zuhause genutzt werden. Weiter- und Fortbildung wird zur neuen sozialen Frage. Auf die digitale Arbeitswelt fühlen sich nur wenige vorbereitet. Besonders gering ist die Beteiligung an Weiterbildung dort, wo sie am meisten gebraucht wird: bei Beschäftigten mit Routinetätigkeiten, die zunehmend von Maschinen übernommen werden können. Mit einem „Freitag für Weiterbildung“ könnten auch Branchen ein Privileg nutzen, das heute für einen Großteil der Bürobeschäftigten dank Corona zur „neuen Normalität“ gehört: das Homeoffice. Das Arbeiten zu Hause will eine große Mehrheit der Beschäftigten auch nach Corona zumindest teilweise fortführen. Ersten Studien zufolge ist die Produktivität sogar höher und die Fehltage sind geringer. „Weniger Stress, mehr Zeit für die Familie“ titelte eine große deutsche Krankenkasse. Auch andere Branchen würden von Modellen wie der 4-Tage-Woche und reduzierter Arbeitszeit profitieren. In Neuseeland ermunterte Regierungschefin Jacinda Ardern im Mai die Arbeitgeber, über solche Wege nachzudenken, um den heimischen Tourismus wieder anzukurbeln. Viele Neuseeländer hätten ihr erzählt, dass sie bei flexibleren Arbeitszeiten mehr im eigenen Land reisen würden.
Mitten in der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre prognostizierte der britische Ökonom John Maynard Keynes, dass wir im Jahr 2030 nur noch drei Stunden am Tag arbeiten werden. Der Titel seines Aufsatzes lautete „Economic Possibilities for our Grandchildren“. Das wäre in 10 Jahren. Keynes Enkel sind wir.