Die Coronakrise erweist sich als die Stunde der demokratisch legitimierten Politik, denn sie offenbart eine fundamentale Schwäche, die autoritären Systemen gemein ist. Deren politische Intransparenz führt zur Vertuschung aus Angst vor den Machthabern. Illiberale und autoritäre Systeme stehen für Propaganda und Desinformation. Die chinesischen Ärzte, die das Virus Ende 2019 als erste entdeckten, wurden anfangs von der staatlichen Gesundheitsbehörde eingeschüchtert, wodurch kostbare Zeit verloren ging. Die Coronakrise macht deutlich: Politische Unfreiheit ist das größte globale Risiko. Das britische Wirtschaftsmagazin The Economist stellte vor wenigen Wochen fest: „In Demokratien – selbst in schlecht regierten – sterben weniger Menschen.“ Und in gut regierten Demokratien sterben die wenigsten Menschen an Corona. Die Länder, die bislang am besten durch die Pandemie kommen, sind Demokratien.
Freiwilligkeit ist der entscheidende Vorteil
Dass Bürger freiwillig Kontakt- und Versammlungsverbote akzeptieren und ihre individuelle Freiheit zum kollektiven Schutz der Schwachen einschränken, ist ihr entscheidender Systemvorteil. Demokratische Intelligenz setzt auf die Verbindung von Sicherheit und Freiheit, statt sie gegeneinander auszuspielen. In einem demokratischen Staat ist der Einsatz der Technik zur Kontrolle der Bürger die freiwillige Ausnahme und nicht die Regel. Statt auf „Tugend und Terror“ setzen Demokratie auf „Trial and Error“. Statt auf Infodemie durch Fake News setzen sie auf Innovationen wie Hackathons, an denen sich Startups, Wissenschaftler und Bürger beteiligten. Demokratien sind besser in der Lage intelligente Diskussionen über Exit-Optionen aus dem Lockdown zu führen. In einer Demokratie wird täglich über Alternativen gestritten, sie ist eine ständige „Diskussionsorgie“. Demokratien sind daher eher in der Lage, auf Grundlage von Abwägungen und Zielkonflikten Entscheidungen zu produzieren, die von einer breiten Mehrheit akzeptiert werden.
Der neue Wettbewerb: Black Box versus Open Space
Auch nach Corona wird der politische Systemwettbewerb zwischen den beiden alten Gesellschaftsmodellen ablaufen: autoritär-diszipliniert versus adaptiv-sozialindividualistisch. Der alten Konflikte werden auf einer soziokulturellen Ebene erneuert. Die neuen Polaritäten und die globalen Machtverhältnisse sind weniger von Waffen oder Wirtschaftskraft geprägt als von einem Wettbewerb der Werte. Die Machtkämpfe von morgen sind nach außen wie nach innen Kulturkämpfe. Nach außen zwischen kontrollierender Zentralmacht und aufgeklärtem solidarischem Individualismus und nach innen zwischen einer sich vertrauenden und einer paternalistischen Gesellschaft. Entscheidend ist das Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Bürgern: Ist es wechselseitig oder einseitig? Vertrauen sich Regierung und Bürger oder nicht? Wo die „Black Box- Demokratie“ weitreichende Entscheidungen auf Grundlage von Ratschlägen trifft, die geheim und vertraulich bleiben sollen, setzt die „Open Space-Demokratie“ auf Vertrauen durch Transparenz und Ehrlichkeit. Die favorisierte Ebene der Black Box-Demokratie ist der Zentralstaat mit einer mächtigen Regierung und einer Elite, die ihre Vision vom Fortschritt über Institutionen supranationaler Regulierung durchzusetzen versucht; die Open Space-Demokratie setzt dagegen auf kleine Einheiten wie Bundesländer, Kantone und ihre Bürger als Instrument der politischen Willensbildung. Föderale Systeme lernen schneller und besser und setzen stärker auf die Einbindung ihrer Bürger.
Rückblickend werden wir feststellen, dass nicht nur die Medizin, sondern vor allem Freiheit und Freiwilligkeit das Virus besiegt haben. Entscheidend war die humane, soziale Intelligenz – der demokratische Menschenverstand und sein Bedürfnis nach Freiheit und Verantwortung.
Daniel Dettling ist Jurist, Verwaltungs- und Politikwissenschaftler sowie Zukunftsforscher. Er leitet das Institut für Zukunftspolitik mit Sitz in Berlin. Für Globality Health ist er als Kolumnist tätig und schreibt regelmässig über Megatrends und aktuelle Themen.