Rente mit 50? Finanzielle Unabhängigkeit und die neue Flucht aus der Arbeitswelt

Rente mit 50? Finanzielle Unabhängigkeit und die neue Flucht aus der Arbeitswelt

20. Januar 2023 · Dettlings Kolumne

Seit ich 50 geworden bin, bekomme ich seltsame Anzeigen über meine Social Media-Accounts: „Werden Sie Millionär, gehen Sie früher in Rente! So klappt der Ruhestand schon mit 30, 40 und 50.“

Jahrzehntelang war der Arbeitsmarkt von „Hire and fire“ dominiert: anstellen und kündigen, Jobbeginn und Jobwechsel. Ein Trend der 90er Jahre aus den USA hat jetzt auch Europa erreicht: FIRE (Financial Independence, Retire Early). Es geht um finanzielle Freiheit und frühe Renten und darum, nicht das komplette Leben mit Karriere und Arbeit zu verbringen. „Financiell independent“ ist, wer von seinen Einkünften aus angespartem Kapital leben kann.

Viel Geld verdienen, wenig ausgeben, früh investieren

Das Rezept ist immer dasselbe: In jungen Jahren viel Geld verdienen und davon wenig ausgeben. Gutverdienende Angestellte wohnen in studentenähnlichen Zimmern, sparen, investieren ihr Geld in Immobilien und ETFs und verzichten meist auf Kinder. Bis zur ersten Million dauert es meist länger, die zweite kommt aufgrund des Zinseszinseffekts dafür umso schneller. Vermögens- und Anlagenberater empfehlen der stressgeplagten Avantgarde „Living and Working“-Fonds. Die Community versammelt sich im Internet (u.a. www.frugalisten.de) und gibt sich untereinander Tipps zum „Reicher Leben“.

Viel Work, wenig Life

Immer mehr Menschen träumen davon, bereits vor dem gesetzlichen Rentenalter aus dem Job auszusteigen. Arbeiten bis 65, 67 oder gar länger ist für die große Mehrheit eine Zumutung. Wo das Erwerbsleben als Dauerbelastung empfunden wird, wird der Traum vom frühen und sorgenfreien Ruhestand zum neuen Ziel. Das gilt vor allem für die Generation der Millenials. Die neue FIRE-Bewegung ist die Spitze des Eisbergs, auf dem Arbeit gleichbedeutend für eine Belastung steht, der man möglichst schnell mit viel Askese entkommen will. In Umfragen gibt eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten an, mit 62 oder deutlich früher in Rente gehen zu wollen. Bis 67 oder länger will nur jeder Zehnte arbeiten. „Was bringt ein Traumjob, der einen ausbrennt?“ fragt die frühere Führungskraft bei LinkedIn, Sara Weber.

Arbeiten, obwohl die Welt untergeht?

Extrem sparsam leben bis zur Rente will aber nur eine Minderheit. Weniger als vier Prozent träumen vom sehr frühen Renteneintritt. Als Millionär sterben ohne Erben ist nur für wenige das Lebensziel Nummer Eins. Ein Leben als Privatier ist für die meisten nicht erstrebenswert. Doch „wie schaffen wir es, dass Menschen nicht körperlich oder mental kaputt gehen und das Gefühl haben, sie müssen früher in Rente gehen, weil sie es sonst nicht mehr packen?“ fragt Weber in ihrem neuen Buch „Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“ Für die Flucht der Arbeitnehmer:innen aus der immer stressiger werdenden Arbeitswelt macht sie die Unternehmen verantwortlich, für die der Sinn der Arbeit darin besteht, ihre Beschäftigten auszubeuten.

„On Fire“ ist das Projekt der großen Mehrheit

Arbeit und Leben sind mehr als „finanzielle Freiheit“. Der Sinn der Arbeit besteht aus Selbstwirksamkeit und Kooperation.  „Wähle einen Beruf, den Du liebst und Du brauchst keinen Tag mehr in Deinem Leben zu arbeiten.“ Der Satz wird irrtümlich dem chinesischen Philosophen Konfuzius vor rund 2.500 Jahren zugeschrieben. Dabei war es ein unbekannter Lehrer aus den USA, der uns auf den eigentlichen Wert der Arbeit und des Lebens aufmerksam machte: Es geht nicht um den Job als solchen, es geht um die Beziehung zu Menschen, Kollegen, Kunden – und uns selbst. Auch Hobbies, Ehrenämter, Familie und Freunde geben Sinn. New Work ist ständiges Bessermachen, manchmal einzeln, meist im Team. Es geht darum, gemeinsam für etwas zu brennen. FIRE ist das Projekt einer kleinen, singulären Minderheit. „On Fire“ ist die Aufgabe für die anderen 96 Prozent.

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