Noch drastischer ist der Befund bei Nichtführungskräften in den Unternehmen selbst. Nicht einmal jeder/jede Fünfte strebt in den nächsten 10 Jahren eine Leitungsfunktion an. Sterben die CEOs mit der Pandemie aus?
Eigenständigkeit, Unabhängigkeit, Selbstmotivation
Corona stellt die Sinnfrage neu: „Wofür mache ich das alles eigentlich?“ Psychologen und Coachs berichten von immer mehr neuen Patienten aus der Chefetage. Teams unter Pandemiebedingungen aus der Ferne zu führen, ist für viele eine zu große Herausforderung geworden. Faktoren wie direkter Kontakt, Ansprechbarkeit und Vertrauen müssen remote anders hergestellt werden. Corona hat den Trend zu digitalen, neuen Arbeitsmethoden beschleunigt und die Anforderungen an Führungskräfte gesteigert. Viele entscheiden sich für eine Expertenkarriere und gegen die Teamleitung. Werte wie Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und Selbstmotivation sind durch die Krise wichtiger geworden. Der Purpose findet immer stärker intrinsisch statt, persönlicher Status hat durch die Pandemie an Bedeutung verloren. Der neue Anzug findet keine Beachtung, der Dienstwagen bleibt in der Garage und das protzige Büro bleibt leer. Schlechte Zeiten für alte CEOs.
Gute Führung hat in der Wirtschaft keinen nachweisbaren Einfluss
Führung wird sich mit Corona radikal verändern und anders aussehen. Statt um Hierarchien und Titel geht es um Selbstverantwortung, schnelle Kommunikation und Einfluss. Wenn sich Hybridmodelle aus Büropräsenz und Homeoffice durchsetzen, wird es auch zu hybriden Führungskräften kommen. Was vor Corona nicht ging, geht auf einmal: Chef und Familienleben, Karriere und Kinder, Führen trotz Distanz. Vielleicht wurde Führung vor Corona überschätzt? Eine Studie der Universität Chicago kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis: Führungskräfte haben in der Wirtschaft praktisch keinen echten Einfluss über den bloßen Zufall hinaus. Die Forscher analysierten 600 amerikanische Unternehmen im Zeitraum von 1970 bis 2015. Danach hätte jemand, der zufällig ausgewählt würde, die gleiche Wahrscheinlichkeit, das Unternehmen genauso gut zu führen wie der CEO selbst. Im Klartext heißt das: Es gibt keinen Beleg für die Annahme, dass CEOs die Performance ihrer Unternehmen verbessern. In der Politik sei der Einfluss dagegen um einiges höher. Wird ein Land nach einem durchschnittlichen zu einem überdurchschnittlichen Regierungschef, erhöht sich das Bruttoinlandsprodukt spürbar. Auch im Sport sei eine gute Führungskraft empirisch erkennbar. Vielleicht wäre dies die Lösung: Wer sich in der Politik oder im Sport bewährt hat, übernimmt in der Wirtschaft eine Führungsfunktion. Parteien und Sportvereine würden sich vor Mitgliedern nicht retten können.