Nach Corona: Raus aufs Land?

Nach Corona: Raus aufs Land?

23. April 2020 · Dettlings Kolumne

Corona beendet die Phase der hyperschnellen Globalisierung. Diese hat uns anfälliger für Krisen gemacht. Danach spricht einiges für ein neues Verhältnis von Stadt und Land.

Die Krise in den großen Städten

Deutschlands Kraft liegt in seiner Dezentralität. Drei Viertel der Deutschen leben in ländlichen Regionen. Auch die Mehrheit der Unternehmen ist nicht in den großen Städten und Ballungsgebieten zuhause. Während sich die großen Städte bislang als die Gewinner der Globalisierung sahen, fühlten sich die Einwohner in den ländlichen Regionen oft als die Verlierer des wirtschaftlichen Wandels. Bis das Virus Covid-19 kam.

Die Corona-Pandemie wurde deshalb auch zur Krise der großen Städte und Ballungsgebiete, weil diese anfälliger und nervöser sind als der ländliche Raum. Geschlossene Restaurants, Fitnessstudios, Kinos und Clubs – das Leben in den Metropolen war auf einmal gefährlich öde. Insbesondere Megacitys wie New York, Singapur und London waren mit der Coronawelle schnell überfordert. Auf dem Dorf oder in der Kleinstadt ist das soziale Abstandhalten leichter als in der Großstadt. Nachbarschaftshilfen, die sich in den großen Städten erst digital und per Telefon bilden müssen, sind auf dem Land Alltag. Landluft macht virenfreier. Die Corona-Krise ist daher auch Treiber einer neuen Stadtflucht – zumal immer mehr Regionen schon vor der Krise auf einen lokalen Versorgungspatriotismus setzten.

Vor Corona galt folgendes Gesetz im Verhältnis zwischen Stadt und Land: „Die großen Städte wachsen, die ländliche Bevölkerung schrumpft.“ Abwanderung, Alterung und das Gefühl des Abgehängtseins wurden mit dem Land, Fortschritt, Weltoffenheit und Innovation mit der Stadt in Verbindung gebracht. Die Corona-Pandemie beschleunigt den technologischen Fortschritt wie Digitalisierung und Automatisierung. Diese Entwicklung kann die Kluft zwischen boomenden Städten und Regionen und schrumpfenden und abgehängten Gegenden beschleunigen – oder reduzieren. Die Coronakrise hat gezeigt: Wenn sich alles auf die großen Städte konzentriert, brechen diese irgendwann zusammen. Zum Gewinner der Entwicklung wird die progressive Provinz, die beide Welten verbindet: die urbane, vernetzte und die lokale, verbundene Welt. In den Kommunen löst sich der Stadt-Land-Gegensatz auf. Die Coronakrise wird zum Beschleuniger der Megatrends Globalisierung, Digitalisierung und Demografie und des mit ihnen verbundenen mentalen und sozialen Wandels.

(1) Aus Globalisierung wird Glokalisierung

Die Corona-Pandemie beschleunigt den Trend zur Glokalisierung: Globalität und Lokalität verbinden sich zu einem neuen Dritten. Nach der Krise wird das lokal und kommunal Überschaubare wieder gefragt sein. Das passende Leitbild dazu ist die „ökosoziale Marktwirtschaft“. Regionale Produktion ist gut für die Umwelt und schafft vor Ort sichere Arbeitsplätze. Es geht um Investitionen in Busse, Bahnen, Schienen und Radwege, neue Formen der Mobilität, der Landwirtschaft und des Tourismus. „Bio-Dörfer“ ziehen gestresste Städter und ihre Familien an. Verbraucher und Konsumenten fragen zunehmend nach Qualität, Herkunft und Art der Produktion. Wertschöpfungsketten regionalisieren sich.

(2) Aus Digitalisierung wird Vernetzung

Vielen ländlichen Regionen mangelt es an einer schnellen Internetverbindung. Homeoffice und Unterricht zuhause waren in der Corona-Zeit für viele auf dem Land nur schwer möglich. Bis zur nächsten Pandemie ist die Schließung der „digitalen Kluft“ zwischen Stadt und Land neue Priorität. Arbeit wird multi-mobil und multi-lokal. Lange Wegzeiten und weites Pendeln werden zur Ausnahme und entlasten auch die Umwelt. Die zunehmende Digitalisierung ermöglicht dezentrale Strukturen von Arbeit, Wirtschaft und Verwaltung. Immobilien auf dem Land werden aufgewertet. Das schnelle Internet wird Startups auch auf dem Land in Zukunft möglich machen.

(3) Aus Demografie wird Gesundheitsschutz für alle

Corona hat uns allen den Gesundheitsschutz einer alternden Bevölkerung verdeutlicht. Telemedizin und „Mobile Health“ haben den Kontakt zwischen Ärzten und Patienten in der Krise aufrechterhalten. Patienten werden auch in Zukunft am Telefon oder online behandelt werden wollen, weil sie volle Wartezimmer vermeiden wollen. Gesundheitsregionen entlasten die Versorgung in den großen Städten und bedienen den neuen Trend der ganzheitlichen Gesundheit.

Die neue Landlust

Die Gewinner nach Corona sind künftig jene Regionen, Kleinstädte und Dörfer, die den Wandel offensiv angehen und optimistisch gestalten. Lebensqualität, Bildung und bürgerschaftliches Engagement sind die neuen Standortfaktoren. Die Coronakrise kann zu einer Aufwertung des Landes führen. Der ländliche Raum ist mehr als Landwirtschaft und „Restraum“. Er ist auch Wirtschafts-, Kultur- und Industrieraum und damit Zukunftsraum für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Kluft zwischen Stadt und Land wird sich nach Corona zunehmend auflösen. Das Land wird wieder als gleichwertiger Lebensraum wahrgenommen. Stadt und Land ergänzen sich und sind in Zukunft stärker aufeinander angewiesen.


Dr. Daniel Dettling ist Zukunftsforscher, gefragter Keynoter und berät Institutionen und Unternehmen. Er leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik. Sein neues Buch erscheint im Mai: „Zukunftsintelligenz statt Zukunftsangst. Wie wir nach Corona arbeiten, lernen und leben werden“ (LangenMüller).

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