Herr Hartwich, Sie sind Deutscher und haben bis 2004 in Deutschland gelebt und gearbeitet und leben seit mehr als 15 Jahren im Ausland, erst in London, dann in Sydney, nun in Wellington. Was hat Sie zum Wohnortwechsel bewegt und fühlen Sie sich inzwischen als Kiwi in Neuseeland?
Da kommen private und berufliche Gründe zusammen. Meine Frau ist meine australische Brieffreundin, die ich noch zu Schulzeiten kennengelernt habe. Zunächst haben wir uns als Kompromiss auf London geeinigt. Danach ging es weiter nach Sydney. Und schließlich wurde ich gefragt, ob ich einen neuseeländischen Wirtschaftsverband und think tank leiten möchte. Jetzt bin ich seit mehr als acht Jahren hier und werde bald zum „Kiwi“, weil ich mich um die Staatsbürgerschaft beworben habe und diese bald bekommen werde. Den deutschen Pass werde ich behalten. Eine Expat-Community gibt es für die Deutschen in Neuseeland nicht. Deutsche verteilen sich meistens sehr schnell und bauen nichts mit „little Italy“ oder „China Town“ Vergleichbares auf. Es gibt hier auch keine deutschen Pubs oder Restaurants.
Das heißt, Sie sind auch in Neuseeland steuerpflichtig und krankenversichert?
Ja, beides. Das Gesundheitssystem ist dem englischen sehr ähnlich: Grundversicherung plus private Krankenversicherung, die sich auch empfiehlt.
Im Better-Life-Index der OECD schneidet Neuseeland überdurchschnittlich ab und gehört zu den attraktivsten Ländern für Auswanderer. War das auch ein Grund für Sie?
Nein, überhaupt nicht. Neuseeland war nie auf meiner Wunschliste. Als ich vorher in Australien lebte, bekam ich eines Tages die Anfrage, ob ich mir vorstellen kann, in Neuseeland einen think tank zu leiten. Der think tank ist gleichzeitig der Verband großer Unternehmen, die etwa ein Drittel der neuseeländischen Wirtschaftskraft repräsentieren.
Neuseeland hat bislang nur 25 Corona-Tote. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Das hat viel mit der Geografie des Landes zu tun. Wir sind eine Inselnation von der Größe Italiens mit fünf Millionen Einwohnern. Neuseeland war spät dran, bis die Pandemie auch hier ausbrach. Es dauerte, bis wir den ersten Fall bekommen haben. Und das Land ist weitgehend dünn besiedelt, selbst in den größeren Städten. Wenn es ein Land gibt, das gute Chancen hat, mit dem Virus umzugehen, dann ist es Neuseeland.
Gibt es für Sie ein Referenzland für die Bekämpfung der Corona-Pandemie?
Taiwan hat es ohne Lockdown geschafft, hat gut getestet und die Kontakte verfolgt. Australien hatte wesentlich vernünftigere Lockdown-Vorschriften, die es der Wirtschaft ermöglichten, weiterzuarbeiten. In beiden Fällen war aber auch die Vorbereitung auf den Pandemiefall entscheidend. Sowohl Australien als auch Taiwan hatten seit Jahren damit gerechnet, eines Tages mit einer Pandemie konfrontiert zu werden. So wussten sie früher, was zu tun war, was beiden Ländern einen wichtigen Zeitvorteil verschaffte.
Was ist Ihr Rat an Europa, wenn es um die Zukunft der Globalisierung geht? In Politik und Wirtschaft wird intensiv über eine Neugestaltung der Lieferketten und mehr Resilienz diskutiert.
Viele Unternehmen denken jetzt darüber nach, ob es sinnvoll ist, immer nur auf ein Pferd zu setzen, sich nur auf einen Zulieferer zu beschränken und das alles just in time. Die Unternehmen können das am besten vor Ort beurteilen. Die Wirtschaft ist resilienter als die Politik denkt.
Dr. Oliver Hartwich ist Ökonom und leitet den think tank „The New Zealand Initiative“ (https://www.nzinitiative.org.nz) in Wellington und lebt seit mehr als 15 Jahren im Ausland, zuletzt Australien und Neuseeland.